Die Chiefs-Offense erklärt: So funktioniert das “System Reid“
Im Podcast mit dem gleichen Titel erklärt NFL-Experte und früherer NFL-Europe-Receiver Maximilian von Garnier, wie die Chiefs-Offensive von Andy Reid funktioniert. Hier findet ihr weitere Details.
Die Folge von Das Kingdom zu den Offensiven-Strategien der Chiefs mit Maximilian von Garnier ist teilweise sehr technisch, detailliert und ohne visuelle Unterstützung nur schwer verständlich. Daher gibt es diesen Newsletter-Artikel, der etwas mehr bildlich und in Textform die unterschiedlichen Themen aus der Folge erklärt. Bitte kommentiert diesen Artikel gerne, wenn ihr noch offene Fragen habt.
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Teil 1: Wer ist Andy Reid und was macht ihn besonders?
Wer ist Andy Reid?
Andy Reid hat früh in seiner Coaching-Karriere bei Football-Innovatoren gelernt. Er war Offensive Coordinator von Vic Rowen, der zusammen mit Bill Walsh die West-Coast-Offense erfunden hat. Später lernte er Mike Holmgren kennen, der unter Walsh bei den 49ers die WC-Offense kennenlernte.
Aus dem College arbeitete sich Andy Reid in die NFL und wurde 1999 Head Coach der Philadelphia Eagles. Schon dort holte er mit seinem Offensiv-Konzepten das Maximum aus begrenzten QB-Talenten wie Donovan McNabb
In seiner Karriere entwickelte Andy Reid in seinen Coaching-Teams viele Talente, die später erfolgreich in der NFL waren wie: John Harbaugh, Sean McDermott, Ron Rivera, Pat Shurmur, Mike Kafka, Doug Peterson und Steve Spagnuolo
Bei den Eagles war Reid oft dicht dran, gewann aber nie einen Super Bowl - das schaffte er erst mit Patrick Mahomes und den Chiefs in 2020.
Was zeichnet ihn aus?
Er ist ein Offensiv-Mastermind, der in den letzten 30 Jahren jede Art von Gegner und Defensive gesehen hat. Dabei kann er sich auf sein Spielermaterial anpassen (siehe Weggang Tyreek Hill) und Stärken finden, um Big Plays zu machen.
Andy Reid hat 1.500-2.000 Plays im Kopf, die er nutzen kann von denen nur 100-150 am Gameday zum Einsatz kommen können. Am Ende callt er 50-60 während eines Spiels.
Er entwickelt ein Team so, dass es am Ende der Saison am stärksten ist und er immer noch Überraschungen und Unvorhergesehenes für die Konkurrenz im Ärmel hat. Es bringt ihm nicht viel in Woche 4-6 dominant zu sein, wenn sich die Gegner an ihn anpassen können.
Teil 2: Das Konzept – Was ist die West-Coast-Offense?
Definition: Die West Coast Offense bietet die Kontrolle des Balles und damit der Uhr – hauptsächlich durch kurze und “perfekt getimete” Pässe mit hoher Completion-Rate auf alle Receiver, die auf fest vorgegebenen Passrouten unterwegs sind und die volle Breite des Spielfelds nutzen.
Damit ist die West-Coast-Offense der Gegenentwurf zur NFL der Pre-90er-Jahre. Dort wurde die Kontrolle des Spiels mit einem funktionierenden Running-Game erreicht. Passing war damals immer deutlich riskanter. Das veränderte sich erst durch diese Art der Offense.
Ein anderes Offensivkonzept ist z.B. das Air Coryell (von Don Coryell erfunden), das darauf aus ist mit deutlich gößerem Risiko immer vertikal den Ball zu passen und mit Deep-Balls zum Erfolg zu kommen. Das spielte Patrick Mahomes im College bei Texas Tech unter Head Coach Kliff Kingsbury.
Wichtig für die WCO ist das Timing zwischen Receivern und dem Quarterback und das exakte Route-Running. Nur so können sichere Pässe angebracht werden und der Ball direkt in die Hände des Receivers geworfen werden. Dazu ist viel Wiederholung und Vertrauen notwendig.
Außerdem versuchen die verschiedenen Plays das Spielfeld lang zu machen, um Räume zu schaffen und Missmatches zu kreieren. Die WCO setzt darauf, dass wendige Wide-Receiver gegen etwas steifere Linebacker spielen und große Tight Ends gegen kleinere Cornerbacks.
Durch die eher kurzen Pässe wird die Rolle von Yards After Catch wichtiger. Beliebt sind Receiver-Typen, die auch noch nach dem Fangen des Balles Raum schaffen und First-Downs ermöglichen.
Die Chiefs sind besonders in der Red Zone ohne Tiefe sehr kreativ in den Plays der WCO und arbeiten dort mit Motions und ungewöhnlichen Formationen. (Wie z.B. im Super Bowl bei 2 Touchdowns mit Motion von Toney & Moore)
Die WCO wird meist aus der Shotgun gespielt. So hat der Quarterback etwas mehr Zeit das Feld vor sich zu scannen und die richtige, freie Passoption zu finden.
Die Offense lebt davon, dass jeder Spieler oder Positionsgruppen eigene “Aufträge” bekommen – dadurch werden die Playcalls unfassbar lang. Beispiel gefällig? South Right Clamp Fake 67 Slant Naked Right Zebra Slide Can 67 Slant
Teil 3: Die Umsetzung – Welche Rollen haben die einzelnen Positionsgruppen?
Im System “Andy Reid” ist es wichtig, dass das Team über Receiver verfügt, die 1on1s gewinnen. D.h. sie müssen über eine bestimmte Geschwindigkeit oder ein Route-Running verfügen, um Duelle gegen Linebacker, Cornerbacks oder Safeties zu gewinnen. Das ist auch der Grund, wieso im Draft oft Speedster in KC landen. Siehe Tyreek Hill, Demarcus Robinson, Mecole Hardman oder Kadarius Toney. Typische 1on1-Spezialisten.
Das Route-Running der potentiellen Receiver ist entscheidend für den Erfolg – daher funktionieren viele Spieler erst im zweiten Jahr unter Reid richtig gut, wenn sie die Formationen und verschiedenen Play-Konzepte nicht nur verstanden, sondern verinnerlicht haben.
Alleine Patrick Mahomes verändert durch seine Qualitäten aber die Art & Weise, wie Andy Reid die Offense der Chiefs betreibt. Er ist nicht nur der wilde Scrambler (QB, der zu den Seiten ausweicht, um Zeit zu gewinnen), der mit Off-Platform-Würfen dem Publikum den Atem raubt, sondern auch ein sehr diszipliniertes Element der WCO von Reid.
Die Offensive-Line ist wichtig, um genug Zeit und keinen direkten Pressure zu zulassen. Sie müssen nicht so dominant sein, wie z.B. die O-Line der Eagles, sondern es ist viel wichtiger, dass die schnelle Füsse haben und smart Mahomes schützen. Die Bewegung der O-Line bei den Chiefs geht also meist eher langsam nach hinten und nicht wie eine Run-Blocking O-Line vielleicht sogar nach vorne.
Running Backs & Tight Ends haben meist auch die Aufgabe die O-Line beim Blocken zu unterstützen und gerade den Erfolg von Blitz-Angriffe (also eine Übermacht durch das Hinzunehmen von Linebacker oder dem Defensive Backfield beim Passrush) der Defense zu verhindern. Erst dann laufen sie auf Passrouten oder bieten sich als alternative Passing-Ziele an.
Teil 4: Die Plays – Was sind die wichtigsten Spielzüge der Chiefs-Offense?
Es gibt unglaublich viele Konzepte und Plays in der Chiefs-Offense (bis zu 150 pro Gameday, 70-80 werden gecallt, weit über 1.000 in der Hinterhand). 3 konkrete Play-Konzepte stellen wir hier vor: Spacing/Zone Pass, Tare/Stick und Hi-Lo.
Bevor wir in die Play-Konzepte gehen, ist es wichtig zu verstehen, dass jeder Receiver auf dem Feld eine Route aus dem folgenden Route-Tree läuft (mehr dazu in diesem Artikel von Bleacher Report):
Das Spacing-Konzept
Am Anfang des Plays stehen im Spacing-Konzept drei Receiver eng nebeneinander an der unteren Seite. Zwei von ihnen laufen eine Curl-Route, der dritte Receiver bleibt mit seiner Flat-Route fast auf Höhe der Line of Scrimmage (LoS).
Wichtig ist gleichzeitig der Outside-Receiver der gegenüber steht und eine Slant-Route läuft und durch den Fokus auf die andere Seite ein 1on1 bekommt.
Das funktioniert besonders gut bei Zone-Coverage, wenn man z.B. beim dritten Down noch 3-6 Yards braucht, weil gleich mehrere Receiver dafür den Ball bekommen können.
Das Tare/Stick-Konzept
Das Tare-Konzept konzentriert sich darauf das Spielfeld auseinander zu ziehen. Der Outside-Receiver ganz unten läuft eine Fade-Route also erstmal gerade den Platz runter und zieht so den Cornerback mit über das Feld. Wenn der zögert, wirft Mahomes den Ball tief.
Dadurch entsteht in der Mitte des Feldes Platz für Flat- und Out-Routen der beiden anderen Receiver, die einfache Würfe für Mahomes sein könnten. Gerade ein Kelce wartet nur darauf etwas Seperation zu bekommen und den Ball in den Lauf zu erhalten.
Auf der anderen Seite kann der andere Passempfänger wieder verschiedene Routen im Eins-gegen-Eins gegen einen Verteidiger laufen.
Das Hi-Lo-Konzept
Das Hi-Lo-Concept liefert eine weitere Möglichkeit eine Man-Coverage zu irritieren. Der Tight End und der Slot-Receiver (im letzten Jahr oft Kelce & JuJu) laufen eng nebeneinander beide Route nach vorne und biegen dann zu verschiedenen Zeitpunkten nach innen. So hat Mahomes einen schnellen Blick, wer von beiden frei ist.
Die Laufroute des Slot-Receivers heißt hier Drive, ist aber einfach eine kürzere Dig-Route und kreuzt den Laufweg des Tight End. Dadurch können die Verteidiger nicht direkt mitlaufen, sondern brauchen einen Bruchteil einer Sekunde um sich für einen Weg zu entscheiden.
Wenn einer der Safetys in der Mitte unterstützen, laufen sowohl der Tight End als auch der obere Receiver Fade-Routes und der Ball fliegt tief.
Ich kann euch empfehlen die Chiefs-Spiele im Nachhinein auf dem Gamepass bei DAZN im Coaches-Film oder All-22 zu gucken. Dort könnt ihr genau diese Konzepte bzw. in immer wieder abgewandelter Form bei den Chiefs beobachten und bekommt ein Gefühl für die Art der Calls.